Randbemerkungen

Wenn Dinosaurier von Zukunft sprechen

Kaum sagt unsere EU-Kommissions­präsidentin sinn­gemäß, dass es doch ganz hübsch wäre, wenn Europas Umwelt- und Klima­politik in Zukunft ein klitze­bisschen weniger jämmer­lich agierte als in den letzten paar Jahr­zehnten, fangen die üblichen Verdäch­tigen (BDI, DIHK etc.) wieder an, rumzu­weinen und Apoka­lypse zu wittern. Mit halbem Ohr habe ich heute zum Beispiel ein State­ment aufgeschnappt, das ungefähr lautete, dass Klima­schutz ja gar keine Wachstums­strategie für Unter­nehmen sei.

Tja, blöd. Könnte daran liegen, dass Wachstum, wenn wir es so definieren, wie es in Adenauers Tagen so angenehm war, im 21. Jahrhundert einfach keinen Selbst­zweck und kein legitimes Ziel politischen Handelns mehr darstellt. Allmählich sollte sich herum­gesprochen haben, dass wir Europäer, auch wenn wir nicht die schlimmsten Umwelt­sünder des Planeten sind, weitaus über unsere Verhält­nisse leben (plaka­tive Darstellung des Sach­verhalts). Und solange das so ist, ist das Verhät­scheln energie- und ressourcen­intensiver Industrien keine Lösung, sondern ein nicht ganz kleiner Teil des Problems. – Wenn ich solche Dinge mit konser­vativeren* Bekannten diskutiere, kommen schnell Argumente auf den Tisch wie „Weißt du, wie viele Arbeits­plätze allein an der Auto­branche hängen? Wenn die alle weg sind, wer zahlt denn dann unsere Infra­struktur?“ Nur ist so was halt auch zu kurz gedacht:

In einer Gesell­schaft, die so organi­siert ist, dass sie ernsthaft nachhaltig wirtschaftet, wird ja gar nicht mehr so viel Infra­struktur gebraucht. Beispiel Verkehr: nicht fürs Berufs­pendeln, nicht für die Freizeit. Eine ernsthaft nachhaltige Gesellschaft ist höchst­wahr­scheinlich sehr viel weniger mobil als bisher: weil sehr viel mehr im Lokalen statt­findet; weil sich irgendwann die Einsicht durchsetzt, dass es kontra­produktiv ist, täglich Millionen Pendler unterwegs sein zu lassen, deren nicht unwesent­licher Teil pro forma 37 Wochen­stunden in irgend­welchen 100% verzicht­baren Bullsh*tjobs absitzt; weil hoffentlich noch recht­zeitig begriffen wird, dass Fernreisen kein Menschen­recht sind und einmal Fliegen in den Urlaub pro zwanzig Jahre reichen muss.

Und das ist ja nur ein kleiner Teil dessen, was sich ändern muss, wenn wir ernsthaft daran inter­essiert sind, dass auch unsere Kinder und Enkel noch unter erträg­lichen Bedin­gungen leben können statt permanent unter Kondi­tionen, gegen die sich ein Pandemie-Lockdown niedlich ausnimmt. Im Grunde gehört alles auf den Prüfstand, an was wir uns über die Jahrzehnte gewöhnt haben, und einiges wird weh tun. Das merke ich zum Beispiel recht deutlich bei meinen Hobbys: Etliche der interes­santeren grafischen Prozesse sind ökologisch problematisch bis indiskutabel, weshalb ich mir vieles verkneife und an immer mehr Punkten hinterfrage, ob es wirklich so gemacht werden muss; viel Gewohntes entfällt, und Alternativen sind oft mit Mühe verbunden. Selbst bei so banalen Dingen wie dem Lebensmittel-Einkauf werden wir uns noch viel mehr umgewöhnen müssen, als nur die Zucchini neuer­dings ins Netz­säckchen statt in die Plastik­tüte zu packen. Wir brauchen nicht immer noch mehr Auswahl im Supermarkt-Regal, sondern in Wirk­lichkeit sehr viel weniger. Und so weiter, und so weiter.

Zwar bin ich überzeugt davon, dass Verzicht in diesem Sinne, der (manchen von) uns gegen­wärtig als kaum erträg­liche Zumutung erscheinen mag, über kurz oder lang ganz neue Formen der Lebens­qualität erschließen kann. Aber auf dem Weg dorthin müssen wir uns erst mal von der Über­zeugung verab­schieden, dass alles, was nach ’45 gut für Europa war, auch weiterhin die beste Option ist. – Wenn die Dinosaurier von Zukunft sprechen, meinen sie allzu oft nur die Fortsetzung der Vergangenheit mit denselben Mitteln wie bisher. Lassen wir sie reden, aber nehmen wir sie nicht mehr allzu ernst.


* konservativ in der konservativen 😉 Definition des Wortes, um nicht das hässliche reaktionär schreiben zu müssen, aber in Wahrheit ist ja radikale Ökologie der im positiven Sinne konservativste Ansatz.

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